Montag, 5. Januar 2015

Ravelry und die #starbucketchallenge.

Die Anstalt gehört m. E. zu den  besten Kabarettsendungen im deutschen Fernsehen. Ausgerechnet im ZDF bekommt man politische Analysen, bei denen komplexe Zusammenhänge verständlich aufbereitet und pointiert präsentiert werden - doch das Lachen bleibt einem oft genug im Halse stecken.
In der Sendung vom 28. Oktober 2014 ging es um Steueroasen - genauer, um die Steuersparmodelle von globalen Großkonzernen, die mit legalen Mitteln oft schon seit Jahren überhaupt keine Steuern mehr zahlen.
Kann man alles hier nachsehen:



Ob sich nun eine Kaffeehauskette davon beeindrucken lässt, dass ein paar Deutsche sich kalten Kaffee über den Kopf gießen, und ob der schlechte Geschmack des Kaffees tatsächlich auf die fehlenden Steuern  zurückführen lässt (wobei ich noch niemanden getroffen habe, der besagten Kaffee trinkt, weil er so gut schmeckt...) - das sei dahin gestellt. Es scheint aber so, als habe die EU Gesetzgebung tatsächlich Schritte eingeleitet.

Seit dem 1. Januar muss Mehrwertsteuer vom Verkäufer/von der Verkäuferin in das EU-Land abgeführt werden, in dem der Käufer/die Käuferin das Produkt kauft. Kaffee, der in Deutschland gekauft und getrunken wird, muss also auch in Deutschland versteuert werden.
So weit so gut.

Nun kaufe ich so gut wie nie bei St*rb*cks. Ich trinke keinen Kaffee. Auch bezweifle ich, dass in den entsprechenden Filialen Hinweisschilder ausliegen, die die Kundschaft über die neuen Regeln informieren. Ich bin auch keine Juristin oder Steuerberaterin. Wie bin ich also über die neue Gesetzgebung gestolpert?

Ich kann bei Ravelry keine Anleitungen mehr kaufen.
Oder, um präziser zu sein: Ich kann im Moment viele Anleitungen gar nicht, andere nur sehr umständlich kaufen.
Bisher, konnte jeder mit wenig Aufwand bei Ravelry einen "shop" einrichten, indem er/sie PDF Anleitungen kostenlos oder kostenpflichtig als PDF zum Download anbot. Wenn ich also bei Ravelry eine schöne Anleitung entdeckte,  dann konnte ich sie fast immer mit wenigen Klicks sofort kaufen. Häufig ging es mit einem Klick zu payp*l, und fast sofort fand sich die Anleitung in meiner Raverly library und in meinem E-Mail-Postfach.
Seit dem 1. Januar aber fallen auch digitale Erzeugnisse, wie bspw. PDF-Anleitungen, unter das neue EU-Mehrwertsteuergesetz. Und seither ist die Sache komplizierter, denn jede/r Designer/in mit Ravelry-Shop, der/die eine Anleitung in die EU verkauft, muss diese nun dort versteuern - wenn ich also von einer kanadischen Designerin, bspw. YarnHarlot, ein PDF kaufen wollte, müsste diese das hier in Deutschland versteuern. Dazu müsste sie aber detailliert nachweisen, wo ihre Anleitung erworben wurde. Nun weiß bspw. payp*al, wo ich wohne, und meine IP-Adresse meldet ebenfalls Deutschland - sie müsste diese Daten also erhalten (Datenschutz), zum Kaufzeitpunkt dokumentieren und jedem Vorgang zuordnen. Kurzum,  der Aufwand steigt exorbitant.
Das heißt, das gerade die Micro-Businesses wieder einmal abgestraft werden mit Gesetzgebung, die im Falle von Konzernen durchaus sinnvoll ist. Und natürlich betrifft es nicht nur Ravelry, sondern auch Etsy und andere Plattformen (möglicherweise sogar E-Bay und Amazon), die kleinen und Kleinstunternehmer(inne)n die Möglichkeit bieten, ihr Nischenprodukt einem weltweiten Publikum anzubieten. Denn der verbundene Aufwand ist für genau diese kleinen Unternehmen zu groß. Und die Steuerkontrollen werden wahrscheinlich den Plattformen aufgebürdet, die damit zukünftig ein Risiko tragen. Offenbar wurden solche Unternehmensformen bei der Arbeit am Gesetz gar nicht bedacht, sonst hätte man ja beispielsweise Schwellenwerte einfügen können. Neue Geschäftsmodelle werden behindert. Wer Englisch kann, kann hier viele Informationen bekommen.

Ravelry hat glücklicherweise für den Moment eine ganz ordentliche Übergangslösung gefunden: Wer Anleitungen in die EU verkaufen will, kann dies über einen Kooperation mit dem UK-basierten Onlineshop loveknitting tun. Dies erfordert zwar mehr als einen Klick  - man muss sich zusätzlich bei loveknitting registrieren, bekommt von denen dann auch ungefragt newsletter zugeschickt - aber es funktioniert. Auch die Informationen (für shopkeeper) auf der Website scheinen umfassend und verständlich formuliert und auf eine allgemein zufriedenstellende Lösung hin ausgerichtet.
Darüber bin ich froh und dankbar.
Aber noch längst nicht alle Anbieter/innen von kostenpflichtigen PDF-Downloads bei Ravelry haben ihre Anleitungen bei loveknitting eingestellt. Das ist wenig überraschend, kam die Umstellung doch plötzlich, und während der Feiertagssaison, und dann vergesse man nicht die unzähligen betroffenen Anleitungen. Wir sprechen hier von der größten (mitgliedergepflegten) Datenbank zum Thema Stricken und Häkeln weltweit - das geht nicht so schnell.
Also kein Vorwurf hier, im Gegenteil.
Aber doch ein bißchen Sorge. Denn zum Einen soll diese Kooperation nur in der Übergangszeit kostenlos bleiben, danach aber Aufschlag kosten (auch loveknitting muss leben), und zum Anderen könnte ich es verstehen, wenn ein/e Gelegenheitsdesigner/in den Mehrwert nicht sieht (oder nicht die Muße hat), der Umstellung zu folgen - und ihre Anleitungen einfach für EU-Bürger/innen nicht mehr zum Kauf anbietet. Verstehen könnte ich es, aber "mein" geliebtes Ravelry wäre damit möglicherweise "kaputt".  Das tolle an Ravelry war ja  bisher die globale Vernetzung - unabhängig von Wohnort und Zeit konnte man sich  mit der strickenden Weltgemeinschaft nicht nur austauschen, sondern die neuesten Design-Hypes auch mitmachen - internationale Anleitungen kaufen und nachstricken, die Designer/innen direkt be-und entlohnen - das wird zukünftig schwieriger.
Und mit der wirtschaftlichen Logik des 20. Jahrhunderts wäre das globale Internet wieder ganz schnell in nationale Zonen eingeteilt - das Internet ist eben in der EU immer noch Neuland.
 
Hier könnt Ihr die Erläuterungen zum Gesetz auf Deutsch nachlesen.
http://ec.europa.eu/taxation_customs/resources/documents/taxation/vat/how_vat_works/telecom/explanatory_notes_2015_de.pdf#current_rules


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Alle Infos eigene Recherche aber ohne juristische Fachkenntnisse. Fehler sind meine, keine Haftung für das, was Ihr mit diesen Infos macht.

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Edit vom 06.01.2015
Tichiro, die ja als Steuerberaterin etwas mehr Fachwissen hat, hat mich darauf hingewiesen, dass mein Vergleich "Murks" sei, weil elektronische Dienstleistungen (E-Books, PDFs) umsatzsteuerlich anders behandelt werden als Lieferungen (z. B. Kaffee). Und was Strickanleitungen angeht, wisse man noch nicht, ob so etwas überhaupt als elektronische Dienstleistung zählt. Das muss offenbar erst noch juristisch geklärt werden.
Ich verstehe das so, dass Ravelry sich absichern wollte/will und dabei möglicherweise über das  Ziel hinausgeschossen ist - besser als hinterher riesige Strafen zu zahlen. Die Ravelry-Gemeinschaft ist zwar groß, aber ein Weltkonzern wie facebook ist es eben auch nicht.
Und natürlich wurde das Gesetz schon lange vorher angekündigt, aber das kriegen wir Durschnittsmenschen eben erst mit, wenn es die Auswirkungen der Änderungen bei uns ankommen. So wie jetzt.
 Inzwischen hat Tichiro einen eigenen Post dazu geschrieben, den ihr hier nachlesen könnt: Strickdesigner und EU-Steuergesetzgebung